Rezension
José Ángel Saiz Meneses
Pilger und Apostel
Notizen für eine Spiritualität der Cursillo-Bewegung
Selten habe ich ein so tiefschürfendes und umfangreiches Buch zur Spiritualität der Cursillo-Bewegung in die Hand bekommen wie dieses soeben erschienene Werk von Bischof José Ángel Saiz Meneses (65), Hirte der Diözese Tarrasa in Katalonien/Spanien. Große Anerkennung gebührt vorab Christina Gawlas in Wien für die hervorragende Übersetzung und der Wiener Cursillo-Arbeitsgemeinschaft für die Herausgabe dieses Werkes.
Das Wichtigste vorweg: Bischof José liebt den Cursillo, hat ihn wohl öfter miterlebt und wichtige Erfahrungen für seine christliche Biografie wie auch für seinen Werdegang als Priester und Bischof erhalten. Das kommt in vielen Passagen seiner Ausführungen zum Ausdruck. In den vaticanNEWS habe ich gelesen, dass er „einer der tüchtigsten Bischöfe Spaniens ist, und dass sich im Priesterseminar seiner Diözese Tarrasa derzeit 30 Seminaristen auf den Priesterberuf vorbereiten“. Das lässt zumindest ahnen, dass hier ein Bischof mit großer geistlicher Ausstrahlung am Werk ist.
In acht Kapiteln erschließt Bischof José die innere Struktur und Spiritualität des Cursillo, die sich durch die große Pilgerschaft der Katholischen Jugend Spaniens im August 1948 herausgebildet hatte. Er lässt sehr ausführlich die Gründerväter zu Wort kommen: Bischof Juán Hervás, Bischof von Mallorca, Eduardo Bonnin, die Priester Sebastián Gayá und Juán Capó und einige andere. Er zeigt auf, wie sich schon in den Jahren nach dem Spanischen Bürgerkrieg (1936-39) aus der geistlichen Unruhe junger Leute in der Katholischen Aktion Spaniens Formen geistlicher Vertiefung herausbildeten. Es waren die Vorbereitungskurse für die Pilgerschaft 1948. Die Spiritualität der Pilgerschaft auf dem Jakobsweg und das Ziel Santiago de Compostela prägten die Dynamik und den Auftrag, die schließlich in den Folgejahren zur Cursillo-Bewegung reiften, die sich in wenigen Jahren über den ganzen Erdball ausbreitete. Der rote Faden in dieser Bewegung hieß von Anfang an: „Christozentrische Verkündigung, weil Christus der Kern ihrer Botschaft ist, verkündet von Menschen, die das Erlebnis einer Begegnung mit Christus gehabt haben.“
Diese Christozentrik stellt Bischof José in den Kontext der Kirchengeschichte, und er stellt an den Anfang der ersten Christengemeinden den Apostel Paulus, den Papst Paul VI. 1963 zum Patron der Cursillo-Bewegung erklärt hatte; er spannt den Bogen über die Kirchenväter, die Ordensgründer, die Geistesströmungen über die Jahrhunderte hinweg bis zu exemplarischen Christen der Neuzeit. Auffallend ist, dass er mit keinem Wort die vielfältigen Spannungen, Fehlentwicklungen und Sünden erwähnt, die auch zur Geschichte der Kirche gehören. Umwälzungen wie die Reformation Martin Luthers, ebenso der Umgang der Kirche mit Andersdenkenden (Giordano Bruno, Johannes Hus und andere sog. „Häretiker“, und selbst noch mit Theologen der Gegenwart) bleiben unerwähnt. Warum? Ist die Kirche heute, ist auch der Cursillo nicht auch offen für Spannungen, die wir vor allem mit sogenannten „Fernstehenden“ und Andersdenkenden erleben? Sind nicht die Fernstehenden die ersten Adressaten des Cursillo? Auf Seite 91 schreibt Bischof José sogar selbst, der Cursillo solle sich „vorzugsweise an die Fernstehenden wenden“. Da hätte ich mir mehr Offenheit und Objektivität gewünscht. Wichtig scheint mir auch, das große Kapitel VIII dieses Buches, das Maria gewidmet ist (37 Seiten!), einmünden zu lassen in das Wort Marias: „Was Er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5)
Dieses Buch ist vor allem Cursillo-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern zu empfehlen. Seine Botschaft, seine griffige Theologie und Glaubenserfahrung offen und kritisch aufzugreifen und in die praktische Arbeit vor Ort einfließen zu lassen, dazu kann man nur ermutigen. Man mag José Ángel Saiz Meneses einen konservativen Bischof nennen, dem die Tradition über alles geht. Wer hineinspürt in seine Sprache und in sein Empfinden mit der Kirche, erkennt, dass er nicht nur Tradition bewahren, sondern gerade mithilfe der geistlichen Strahlkraft des Cursillo auch Veränderungen fördern will. Da sind wir mit ihm auf dem gleichen Weg, als Pilger und als Apostel. Heiliger Paulus, Patron der Cursillos, bitte für uns!
Wolfgang M. Schneller